Autor: Michael Alex

Seiten: 180

Erscheinungsjahr: 2010, Neuauflage 2013

ISBN: 978-3-86293-5116

€ 25.-
incl. MwSt. 

 

Der Verfasser, der selbst lange Jahre im Strafvollzug und in der Justizverwaltung tätig war, beschäftigt sich in seiner Arbeit mit den rechtlichen, kriminologischen und kriminalpolitischen Problemen der nachträglichen Sicherungsverwahrung. Die Sicherungsverwahrung galt über viele Jahre und Jahrzehnte hinweg als Residuum einer längst überkommenen Strafrechtspolitik. Entsprechend waren im Jahre 1996 nur insgesamt 176 Gefangene in Sicherungsverwahrung untergebracht. Nachdem in der Wissenschaft die Abschaffung der Sicherungsverwahrung diskutiert worden war, stieg die Zahl der Verhängungen und der Untergebrachten plötzlich wieder an. Ausgangspunkt war 1998 ein Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten, das die Hürden für die Anordnung der Sicherungsverwahrung senkte. Im Jahre 2002 wurde die sog. vorbehaltene Sicherungsverwahrung eingeführt, 2003 wurde sie durch eine entsprechende Änderung auf Heranwachsende ausgedehnt. Nachdem das Bundesverfassungsgericht im Jahre 2004 dem Bundesgesetzgeber nahegelegt hatte, eine gesetzliche Grundlage für die nachträgliche Anordnung von Sicherungsverwahrung von bereits Verurteilten zu schaffen, wurde eine entsprechende Regelung noch im gleichen Jahr verabschiedet. Nachdem aber die Rechtsprechung diese neu eingeführte Vorschrift sehr restriktiv interpretierte, wurden Anfang 2007 die Regelungen zur nachträglichen Sicherungsverwahrung auch auf sog. Altfälle, bei denen anlässlich der Verurteilung die Anordnung von Sicherungsverwahrung aus rechtlichen Gründen unzulässig gewesen wäre, erstreckt. Schließlich wurde Mitte 2008 die nachträgliche Sicherungsverwahrung sogar im Jugendstrafrecht verankert. Schon die Schnelligkeit und der Schlagrhythmus, mit dem diese kriminalpolitischen Maßnahmen ergriffen wurden, machen deutlich, dass diese Gesetzgebung eher von allgemeinen (partei-)politischen Überlegungen und weniger von fundierten oder gar empirisch belegten rechtlichen oder rechtstatsächlichen Überlegungen ausgegangen ist. Insofern liegt es nahe, sich der Gesamtthematik, und dabei vor allem der nachträglichen Sicherungsverwahrung, in einer wissenschaftlichen Arbeit anzunehmen und dabei möglichst nicht nur rechtlich, sondern auch kriminologisch-empirisch zu argumentieren.

Die Arbeit beschäftigt sich dementsprechend auch mit den kriminalpolitischen Erwartungen an die Neuregelungen und mit der Frage, ob und wie diese Erwartungen erfüllt wurden. Dazu wird die Entstehungsgeschichte der nachträglichen Sicherungsverwahrung erläutert und analysiert. Das Kernstück der Arbeit ist eine eigene empirische Studie des Verfassers, die zum Ziel hatte, die sicherheitspolitischen Begründungen für die Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung anhand der Legalbewährung von Haftentlassenen, die als Adressaten der nachträglichen Unterbringung auserwählt waren, zu analysieren und die Ergebnisse einer Überprüfung zu unterziehen.

Der Verfasser untersucht dabei konkret, ob sich bei diesem Personenkreis die vermeintliche Gefährlichkeit nach der Haftentlassung in erneuter, schwerwiegender Delinquenz niedergeschlagen hat oder ob es den Entlassenen gelungen ist, trotz negativer Prognose nicht wieder straffällig zu werden. In diesem Fall würde (so der Verfasser) „die Eignung der nachträglichen Sicherungsverwahrung als Instrument zur Verbesserung der Sicherheitslage erheblich in Zweifel gezogen werden“ (Seite 2).

Die Arbeit wertet bundesweite Fälle aus, in denen es um Haftentlassene ging, bei denen die Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung von Staatsanwaltschaft und Vollzug angestrebt und (teilweise) mit Gutachten untermauert wurde, von den Gerichten aber nicht ausgesprochen wurde, so dass diese Gefangenen bis spätestens Ende des Jahres 2006 aus der Haft entlassen worden waren. In insgesamt 77 Fällen waren die notwendigen Unterlagen zur Analyse verfügbar. Die erreichbaren Akten der Haftentlassenen (Vollstreckungshefte der Staatsanwaltschaft, Sonderbände zur Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung oder Gerichtsakten) wurden auf Variablen wie Anlassverurteilung, Vorstrafen, diagnostische und prognostische Daten aus Sachverständigengutachten, Ablehnungsbegründungen und Verfahrensgang durchgesehen. Außerdem wurde durch einen Abgleich mit aktuellen Auszügen aus dem Bundeszentralregister ermittelt, ob es seit der Entlassung aus dem Strafvollzug zu Rückfällen gekommen ist und wenn ja, wegen welcher Delikte die neue Verurteilung erfolgt ist. Neueinträge gab es bei 27 der 77 Entlassenen (ca. 35 %), 12 (16 %) waren erneut zu Freiheitsstrafen ohne Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt worden. Bei vier Entlassenen (5 %) erfolgte die neue Verurteilung wegen Raub- oder Sexualdelinquenz, in drei von diesen Fällen wurde zusätzlich zur Freiheitsstrafe im Urteil Sicherungsverwahrung verhängt. Insgesamt liegt die Rückfallhäufigkeit im Rahmen der sonstigen Befunde aus der Rückfallforschung, im Hinblick auf mit unbedingter Freiheitsstrafe geahndete erheblichere Delinquenz liegt sie mit 16% eher an der unteren Grenze, obwohl allen Entlassenen eine schlechte Prognose für künftige Straffälligkeit gestellt worden war. Der Verfasser schreibt dazu: „Die relativ niedrige Rückfalldelinquenz von erheblicherer Bedeutung bei attestierter hoher Gefährlichkeit erhärtet die Zweifel an der Zuverlässigkeit von Kriminalprognosen. Die Einführung von Standards für Sachverständigengutachten und die Entwicklung von standardisierten Prognoseinstrumenten rechtfertigen nicht das auch vom Bundesverfassungsgericht geteilte Vertrauen, gerade für die seltenen Fälle hochgradiger Gefährlichkeit bilde die Prognose eine taugliche Entscheidungsgrundlage. Wie auch andere Untersuchungen zeigen, gilt das nur eingeschränkt für die zutreffende Identifizierung von später tatsächlich aufgefallenen Wiederholungstätern, nicht aber im Hinblick auf nicht wieder aufgefallene Probanden. Die Identifizierung gefährlicher Wiederholungstäter gelingt nach wie vor nur auf Kosten einer großen Zahl von ungefährlichen Menschen, die fälschlich für gefährlich gehalten werden. Grundsätzlich stellt sich außerdem die Frage, ob für die Kriminalprognose strafrechtlich verantwortlicher, „gesunder“ Täter die fast ausschließlich mit Gutachten beauftragten forensischen Psychiater und Psychologen geeigneter sind als Kriminologen, bei denen die Dynamik delinquenten Verhaltens im Mittelpunkt steht und nicht die Psychopathologie des Einzelnen.“ (Seite 162f.)

Michael Alex wurde 1947 in Halle/Saale geboren. Er ist Jurist und Psychologe und hat sich in unterschiedlichen Funktionen vorrangig mit Fragen abweichenden Verhaltens und der staatlichen Reaktion darauf befasst. Nach einer fünfjährigen Tätigkeit in der Sozialtherapeutischen Anstalt Halle/Saale war er zuletzt beschäftigt an der Ruhr-Universität Bochum als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Kriminologie, Kriminalpolitik und Polizeiwissenschaft.